Walahfried Strabos Kräutergarten

Klostergarten beim Münster St. Maria und Markus auf der Bodenseeinsel Reichenau

Kennen Sie das Gefühl? Sie stehen vor einer weltbekannten Sehenswürdigkeit und stellen fest: sie ist viel kleiner als in Ihren Vorstellungen. So ähnlich geht es wohl vielen beim Betrachten der weltberühmten Mona Lisa im Pariser Louvre oder beim Anblick des Kräutergartens nahe dem Kloster auf der Bodenseeinsel Reichenau. Beide Werke verdanken wir tatkräftigen Männern, die mit ihrem Handeln nicht die Welt veränderten, aber ihren Lauf massgeblich beeinflussten. Einer war Maler, Erfinder und Wissenschaftler. Der andere, Walahfried Strabo war ein Mönch, Gärtner und Dichter. Sein dichterisches Werk „De cultura hortorum“ (‚Über den Gartenbau‘) beeinflusst seit fast 1200 Jahren die Entwicklung von Klostergärten und den Gartenbau im Allgemeinen. Dort wo sich heute das eingezäunte Geviert auf dem Gelände des ehemaligen Benediktinerklosters befindet, werkelte einstmals Walahfried Strabo zwischen Pflanzen und Kräutern und liess sich für sein Lehrgericht inspirieren.

Die Mutter aller Klostergärten

Wo alles begann

Die Bezeichnung Klostergarten ist meist eine Verallgemeinerung aller Gärten, die einem Kloster zugehörig sind. Laut besagter Regula Benedicti 66.6 soll sich alles Notwendige innerhalb der Klostermauern befinden. Dazu zählten auch insbesondere die Gärten, wie der Obstgarten, der Küchengarten (hortulus), der Arzneikräutergarten (herbularius) und später dann auch die Meditations- und Schmuckgärten (hortus conclusus). Der Klostergarten ist ein wichtiger Bestandteil des wohl im Jahre 820 im Reichenauer Kloster – unweit von Walahfried Strabos Garten – entwickelten Masterplans für die Anlage eines idealen Klosters. Das historische Dokument befindet sich heute im nahegelegenen St. Gallen in der barocken Stiftsbibliothek.

Heil-Ziest oder Betonien im Strabo Kräutergarten des Klosters Reichenau.
Betonie (Vettonica): „Mag auch auf Bergen und in Wäldern, auf Wiesen und in tiefen Tälern die kostbare Betonie fast überall und allerorten in Fülle stehen, so hegt sie doch auch unser Garten und lehrt sie, auf bebautem Land Kulturpflanze zu werden.“
Rosen dürfen in keinem Klostergarten fehlen. Das befand Walahfried Strabo ebenso.
Rose (Rosa): „… , Braut nach des Bräutigams Namen, Braut du, Taube und Hort, Königin, treue Gefährtin, pflücke Rosen im Streit, brich Lilien im glücklichen Frieden!“
Der Odermenning ist eines der klassischen Heilpflanzen in der Klostermedizin. So auch von Walahfried Strabo beschrieben.
Odermennig (Agrimonia): „Hat einmal feindliches Eisen unsere Glieder verletzt, rät man uns, seine Heilkraft zu erproben und auf die klaffende Wunde seine gestossenen Triebe zu legen, um bald durch dieses Mittel ärztlicher Kunst wieder Kraft zu erlangen, …“
Strabo beschrieb in seinem Gartenbuch die Melona als Frucht des Klostergartens.
Melone (Pepones): „Durchdringt nun das Messer das Innere dieser Frucht, lockt es reichliche Bäche von Saft mit Mengen von Kernen hervor.“
Liebstöckel in Walahfried Strabos Kräutergarten im Klostergarten zu Reichenau.

„Dich, Liebstöckel, kräftiges Kraut, unter den duftenden Büschen zu nennen, rät mir die alles umfassende Liebe zum kleinen Garten.“

Im Kräuter- und Wurzgarten (herbularius):

Historiker nehmen an, dass sich Walahfried Strabo bei seiner Gartendichtung lediglich von einzelnen Pflanzen inspirieren liess. Immerhin handelt es sich um 23 Kräutlein, die er mit liebevollen Texten bedachte. Ganz pragmatisch ist davon auszugehen, dass der klösterliche Anbau von Kräutern zu seiner Zeit nicht auf diese Zahl beschränkt haben dürfte. Ohne das Mittelalter nachempfinden zu wollen, haben sich die Gärtner des historischen Kräutergärtchens das Buch ‚De cultura hortum‘ als Vorlage genommen. Die Beete sind, ebenso wie Strabo es beschrieb, in Vierecke aus Brettern gerahmt. Die Auswahl der Bepflanzung ist nahezu identisch mit dem Inventar seines Buches. Wahrscheinlich aus purer Liebe zu den Pflanzen ist auch die Frauenminze hinzugekommen.

Bereits im alten Testament wurde von der Lilie geschwärmt. Strabo konnte auch nicht anders.
Lilie (Lilium): „Ihr Weiss gleicht glänzendem Schnee, der süsse Duft ihrer Blüte gleicht dem der Wälder von Saba.
Ambrosia: Nicht fern vom Odermennig wächst eine Pflanze empor, die man gewöhnlich Ambrosia nennt, und die man preist, doch bei ihr viele Zweifel hegen, ob es jene Ambrosia ist, …“
Im Klostergarten wollte man schon immer noch hinaus und baute Gerüste.
„… wenn nur deine Sorgfalt nicht in lähmender Trägheit ermattet und du dich nicht in törichten Leichtsinn gewöhnst, die Schätze des Gartens zu missachten, …“
Eigentlich meinte Strabo in seinem Gartenbuch den Schlafmohn. Hier haben wir den Feldmohn.
Mohn (Papaver): „Ihren lautmalenden Namen erhielt die Pflanze vom Geräusch beim Mampfen.
Legendär ist Walahfried Strabos Beschreibung des Flaschenkürbis.
Flaschenkürbis (Cucurbita): „… gerade so erhebt sich auch mein Kürbis aus schwachem Spross empor, klammert sich an den aufgestellten Gabelstützen fest, …“
Es ist der Muskateller-Salbe, dem Walahfried Strabo den Vorrang gab.
Muskateller-Salbei (Sclarega): „Da man ihn nur selten als Heilmittel aufsucht, mag man fast meinen, er sei den Händen der Ärzte entglitten; …“

Die Ideen für Fotos, Texte und die Reise auf die Insel Reichenau entstammen Otto Schönbergers kleinem Reclam-Buch „De cultura hortorum – Über den Gartenbau“. Es war ein heiterer entspannter Tag mit dem Büchlein im Schoss im Reichenauer Walahfried-Strabo-Garten – der Mutter der europäischen Klostergärten. Otto Schönbergers Übersetzungen und Anmerkungen haben massgeblich zum Verständnis um die Vorgänge auf der Insel Reichenau, mittelalterlichen Gartenbaus und Klostermedizin und dem Wirken des dichtenden Benediktiners Walahfried Strabo beigetragen.

Andorn ist das grosse Glück eines jeden Kräutergartens. Walahfried Strabo sah das genau so.

Andorn ist das grosse Glück eines jeden Kräutergartens. Walahfried Strabo sah das genauso.

Anreise und Lageplan: