Familienangelenheiten am Wiesenrand

Breitwegerich (Plantago major) ist eine vergessene Heilpflanze mit Potenzial.

In den allermeisten Familien sind die Talente auf die Kinder ungleich verteilt. So oder ähnlich verhält es sich auch in der Pflanzenfamilie Plantaginaceae. Das ist ihr Name. Sie gehört zur Gattung der Plantago. So lautet die lateinische Bezeichnung für Wegerich-Gewächse. Ihre Familie ist weit verzweigt. Lediglich zwei Geschwister finden in unseren Breiten Erwähnung als Heilpflanze. Wobei einer der beiden Brüder im Laufe der Zeit seine Bedeutung einbüsste. Es ist der Breitwegerich (Plantago major). Vom Hingucken ist er vielen bekannt. Besonders die Aufmerksamkeit von Kindern weckt er mit seinem langen wurm- oder schlangenförmigen grünen Blütenstand. Mitten aus seinem rossettenförmig angeordneten Blättern räkelt sich sein schmuckloser Stängel mit den unzähligen winzigen Blüten empor. Das ist beeindruckend und beflügelt zugleich die Phantasie.

Wegeriche können spitz und breit sein.

Viele Autorinnen nehmen in Unkenntnis des grossen Bruders (Plantago major) die Abkürzung direkt zu seinem kleinerem Bruder dem Plantago lanceolata. Besser bekannt sein dürfte er unter der deutschen Bezeichnung Spitzwegerich. Der Einfachheit halber subsumieren sie alles über die Wegeriche unter seinem Namen. Dabei übersehen sie die Fähigkeiten all der anderen Familienmitglieder. So ist es nicht verwunderlich, dass nach und nach der Breitwegerich (Plantago major) seine Bedeutung eingebüsst hat. Galt er lange Zeit doch als der Wundheiler unter den Pflanzen. 

Ein riskantes Verbandsmaterial

Der Gebrauch frischer Blätter des Breiten Wegerichs (Plantago major) als Wundversorgung dürfte spätestens mit der Einführung aseptischer Verbände seinen Niedergang gefunden haben. Angeblich zerrieben Bauern die frischen Blätter und legten sie auf die Wunden, wenn sie sich bei der Feldarbeit verletzten.1 Schaut man sich an, wo der Breitwegerich wächst, dann scheint diese Art von Wundversorgung sehr bedenklich. Das ist alles andere als eine keimfreie Umgebung. Somit steigt das Risiko für Infektionen. Der Breitwegerich (Plantago major) fühlt sich an Weges-, Wiesen- und Feldrändern wohl. Er mag es feucht und luftig. Aus heutiger Sicht ist es schwer nachzuvollziehen, dass dem Breitwegerich in der Volksheilkunde als der Wundenheiler eine derartig hohe Bedeutung beigemessen wurde. 

Mal nachgeforscht

Irgendetwas muss doch dran sein an den wundheilenden Eigenschaften des Breitwegerichs. Auf der Suche nach des Rätsels Lösung führt die Spur nach Kasachstan. Ein Team aus Mediziner, Biologen und Pharmakologen durchforstete des Stand der aktuellen Forschung und wurde fündig.  Unzählige Male waren bereits Mäuse, Ratten, Schweine und Kaninchen mit Extrakten aus Blättern des Breitwegerichs (Plantago major) traktiert worden. Das alles nur, um herauszufinden, dass Extrakte aus Breitwegerich über entzündungshemmende, antimikrobielle, antivirale und antifungale Potenziale verfügen.2 Immerhin bestätigte sich, dass eine im Breitwegerich enthaltene Polyphenolverbindung, Plantamajosid genannt, entzündungshemmend wirkt und wahrscheinlich für dessen wundheilenden Eigenschaften verantwortlich ist.3

Die Flavonoide Hispidulin und Baicalein, zwei der wichtigsten Inhaltsstoffe des Breitwegerichs (Plantago major), wirken entzündungshemmend und antimykotisch. Sie schützen die Zellen vor der Zerstörung durch Entzündungsmediatoren und fördern so die Migration und Profileration von Zellen. Das ist entscheidend bei der Wundheilung. Darüber hinaus verhindern sie die Freisetzung von Histamin und Prostaglandinen und verhindern so deren gewebeschädigende Wirkung. Darüber hinaus könnte die adstringierende Wirkung von weiteren Flavonoiden eine Schlüsselrolle bei der Beschleunigung der Wundheilung spielen.4

Wie die Alten schon sagten:

Daher haben die Rezepte der Alten ihre Berechtigung, die Extrakte des Breitwegerichs zur Unterstützung der Wundheilung verwenden. Noch heute sind beispielsweise in Südtirol traditionelle Anwendungen mit Teezubereitungen aus Breit- und Spitzwegerich bekannt.5 Schaut man weiter zurück, dann machen auch die Empfehlungen des altenglischen Kräuterbuches „Lǣcebōc* Sinn. Zur Herstellung einer Wundsalbe wurde damals Anwendungen mit in frischem ungesalzenem Fett mit zerstossenem Breitwegerich empfohlen.6 Von der akuten Wundversorgung mit frischen Breitwegerich-Blättern wird aufgrund eines hohen Infektionsrisikos unbedingt abgeraten! 


Quellen:
  1. Treben, M.; Gesundheit aus der Apotheke Gottes, W. Ennsthaler Verlag, Steyr; 1980 ↩︎
  2.  Albahri, G.; Badran, A.; Hijazi, A.; Daou, A.; Baydoun, E.; Nasser, M.; Merah, O. The Therapeutic Wound Healing Bioactivities of Various Medicinal Plants. Life 2023, 13, 317. https:// doi.org/10.3390/life13020317 
    ↩︎
  3.  Zubair, M.; Ekholm, A.; Nybom, H.; Renvert, S.; Widen, C.; & Rumpunen, K. (2012). Effects of Plantago major L. leaf extracts on oral epithelial cells in a scratch assay. Journal of Ethnopharmacology, 141(3), 825-830. ↩︎
  4. Ghanadian, M.; Soltani, R.; Homayouni, A.; Khorvash, F.; Jouabadi, S.M.; Abdollahzadeh, M.; The effect of Plantago major hydroalcoholic extract on the healing of diabetic foot and pressure ulcers: A randomized open-label controlled clinical trial. Int. J. Low. Extrem. Wounds. 2022 doi: 10.1177/15347346211070723. ↩︎
  5. Marsoner-Staffler, Z.; Schwienbacher, M.; Treiner Rosa Hausmittel einer Kräuterfrau, Raetia Verlag, Bozen; 2017 ↩︎
  6.  Hausleitner, F.; Das altenglische Lǣcebōc I und II: Textausgabe, Übersetzung, Kommentar 
    Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz, eingereicht am Institut für Anglistik; 2019 ↩︎

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