Zart und klein mit grosser Kraft

Frühblüher im Wald. Das Hohe Schlüsselblümchen mit seinen blassgelben Blüten im Frühlingswald.

Geht es Ihnen nicht auch so? Kindheitserinnerungen beschleichen uns bei Spaziergängen in der freien Natur in der strahlenden Frühlingssonne. Dann ist so eine kleine gelbe Primel. Das ist nicht nur schlichtweg eine Wiesen-Schlüsselblume. In ihr steckt mehr! Sie enthält ein Stück Geschichte und vielleicht sogar jede Menge Erinnerung. Bis heute hat sich daran nichts geändert!

Zeigerpflanzen und Himmelsschlüssel

Stets sollten wir uns an die Plätze erinnern, wo die Himmelsschlüssel genannten Primeln in freier Natur wachsen! An diesen Stellen ist die Welt noch in Ordnung, zumindest was die Qualität der Böden und der Umgebung betrifft. Beide, sowohl die Wiesen-Primeln (Primula veris) und auch die Hohen Schlüsselblumen (Primula elatior), zählen zu den gefährdeten Pflanzenarten in Deutschland und den sogenannten Zeigerpflanzen. Ihr Vorhandensein und ihre Population an den jeweiligen Standorten geben Auskunft über die Beschaffenheit der Böden. So zum Beispiel, bevorzugt die Echte Schlüsselblume (Primula veris) trockene Wiesen mit einem hohen Kalkgehalt. Hingegen die Hohe Schlüsselblume (Primula elatior) ist eine Zeigerpflanze für nährstoffreiche Lehmböden.

Primeln in der Wohlfühl-Falle

Umwelt-Biologen sehen in der Echten Schlüsselblume (Primula veris) ein gutes Modellsystem, um den Zustand von Pflanzen in heimischen Wiesen zu beurteilen. Auf Veränderungen ihres Lebensraumes reagieren die Wiesen-Schlüsselblumen recht empfindlich. Das lässt relativ verlässliche Schlüsse über die tatsächliche Beschaffenheit der Lebensräume zu. So zeigten aktuelle Studienergebnisse Veränderungen in den Flavonoidglykosidmustern von Blütenblättern und Blättern der Wiesen-Primeln (Primula veris)[1], welche auf Veränderungen abiotischer Faktoren (Klima, Atmosphäre, Wasser, Temperatur, Licht, Strömung, Nährstoffe, u.a.) und in den Lebensräumen zurückzuführen sind. Schienen bisher bei der Erforschung von Heilpflanzen nur die umweltbedingten Veränderungen in den Wirkstoffzusammensetzungen von Interesse zu sein, so verlagert der sich zunehmend der Fokus auf die Fertilität (Fortpflanzungsfähigkeit) der Pflanzen. Wie gut können sich die Wild-Pflanzenbestände vermehren, und so zu ihrem Erhalt beitragen?

Gelbe Tupfen in den Innenseiten der Blüten sind das Kennzeichen vom Primula veris dem Apotheker-Himmelsschlüssel.

Die Wurzeln der Schlüsselblume (Primula radix) liefern die Wirkstoffe gegen asthmatischen Beschwerden, Bronchitis und Katarrhe.

Bienen und Hummeln

Damit stehen für die Primeln nicht mehr ausschließlich die Qualitäten der Böden im Fokus. Vielmehr scheinen den Zuständen der sogenannten Lebensräume für die Entwicklung der Pflanzen eine entscheidende Rolle zu spielen. Frau Dr. Sabrina Träger vom Institut für Biologie der MLU betonte, dass Schlüsselblumen sich nur dann vermehren können, wenn es überhaupt Insekten gibt, die Pollen von einer Pflanze zur anderen bringen.[2] Was sich zunächst wie eine Kinderlogik anhört, offenbart allerdings das weitreichende Dilemma einer industriellen Agrarwirtschaft. Sie erzeugt permanent eine Konkurrenz um die Lebensbedingungen in den naturnahen Räumen. Offenbar mögen Hummeln bspw. Rapsfelder mehr als die hübschen kleinen Wiesen-Primeln. Bleibt allerdings der Hummelbesuch an den filigranen gelben Blüten aus, produzieren die Wiesen Schlüsselblumen (Primula veris) rund 20 Prozent weniger Samen. Weniger Samen bedeutet für die Wiesen-Primeln echten Überlebensstress. Dieser Effekt zeigte sich bereits beim Vorhandensein von Rapsflächen mit nur 15 Prozent in der umgebenden Landschaft. Das sagen zumindest die Ergebnisse einer mittlerweile zwölf Jahre alten Freilandstudie, die 67 Flächen in der Region um Göttingen umfasste.[3] Hierbei soll keine Kritik an der Agrarwirtschaft geübt werden. Vielmehr, sollten wir uns die Flächen mit Schlüsselblumen merken, sie schonen und bewahren. Den Landwirten der angrenzenden Flächen Anerkennung zollen und für den Erhalt der Wiesen dankbar sein!

Himmelsschlüssel sind Zeigerpflanzen, die durch ihre Anwesenheit Auskunft über die Qualität des Bodens geben.

Quellen:

[1] El Morchid, M.M.; Torres Londoño, P.; Papagiannopoulos, M.; Gobbo-Neto, L.; Müller, C. Variation in flavonoid pattern in leaves and flowers of Primula veris of different origin and impact of UV-B. Biochem. Syst. Ecol. 2014, 53, 81–88. [CrossRef]

[2] Idw-online.de: Forschung für den Naturschutz: EU-Projekt zur Schlüsselblume startet an der MLU; Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 04.04.2023 11:00

[3] “Expansion of mass-flowering crops leads to transient pollinator dilution and reduced wild plant pollination”, Andrea Holzschuh, Carsten F. Dormann, Teja Tscharntke, Ingolf Steffan-Dewenter, Proceedings of the Royal Society B, online vorab publiziert am 6. April 2011, doi:10.1098/rspb.2011.0268

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