Schlaffes Liebstöckel

Liebstöckel ist kein Aphrodisiakum und kein Libidoverstärker, es sei denn, es handelt sich um einen fabulierenden Heilpraktiker oder Heilpraktikerin.

Grüne Wedel statt blauer Pille?

Erstaunt reagierte der Berliner Heilpraktiker Hannes A., als ein Klient sein bereits gezahltes Honorar zurückforderte. Tage zuvor hatte er ihm unter anderem zu Liebstöckel (Levisticum Officinale) für die Stärkung seiner Libido geraten.

Erektionen durch Wunschdenken

Weil das Liebstöckel als Aphrodisiakum allerdings keine Wirkung zeigte, recherchierte der Klient und wurde fündig. Eine Bestätigung für seine Befürchtung fand er in einer im Jahre 2018 veröffentlichten Studie. Es ist der Sellerie (Apium Graveolens L.) und nicht das Liebstöckel (Levisticum Officinale), das zu einer verbesserten Libido verhilft! Ironischerweise zeigten die Studienergebnisse eine signifikante Reduktion der Synthese  von Steroidhormonen, wie Progesteron und Testosteron mit Liebstöckel. Hingegen steigerte Sellerie (Apium graveolens L.) die Produktion von Progesteron und Testosteron signifikant. Die slovakischen Wissenschaftler, wie auch andere vor ihnen, fanden keinerlei Hinweise für libidiosteigernde Effekte beim Liebstöckel.1 Der Heilpraktiker jedoch berief sich auf Eigenerfahrungen, die er wohl mit dem Kraut gesammelt habe.

Wie wärs mit einem Liebeszauber?


Bereits von Alters her wurden dem stark aromatischen Küchenkraut magische Kräfte zuerkannt. Lange Zeit schienen die Bewohnerinnen des Salzkammerguts von seiner grössten Kraft gegen jede Art von Zauberei überzeugt. Es verwundert nicht, das eine Menge Bräuche und Traditionen den Liebstöckel mit Liebeszauber in Verbindung bringen. Die Bräuche sind vielfältig und sollen jungen Frauen und Mädchen bei Partnerwahl und -suche hilfreich sein. Auf dem Balkan vertraut man auf das Mitführen von Pflanzenbestandteilen beim Finden der grossen Liebe. Dabei kann der Blick durchs Kraut vom Liebstöckel, oder das Aufbewahren einer Wurzel in der Hand, den Weg zur grossen Liebe ebnen.2 Zur Ehrenrettung des Liebstöckels sei an ein altes Sprichwort erinnert:

„Liebe geht durch den Magen.“

altes Sprichwort

Vom Liebesglück der Köche

Gemeinsames Essen als Gemeinschaft stiftende soziale Komponente spielt in vielen Kulturen eine wichtige Rolle. Wie oft hat eine gute Köchin den Familienfrieden gerettet? In Schwaben galten Frauen erst als heiratsfähig, wenn sie richtig Spätzle kochen konnten. Köchinnen und Köche schwören auf gute und passende Zutaten. Das im Geschmack gefällige Liebstöckel oder auch als Maggikraut bekannte Gewürz lässt sich universell einsetzen. Mit ein wenig Geschick lässt sich mithilfe des Liebstöckels zumindest ein wenig Zuneigung, wenn schon nicht die grosse Liebe erkochen. 

in guter Bauch tut’s auch

„Wird Liebstöckel gesotten und gemischt mit Kümmel, ist gut zu gebrauchen im Wein. Er macht einen guten Magen und treibt die bösen Winde aus dem Darm.“3 So steht es geschrieben in der ältesten grossen Drogenkunde des Abendlandes. Flatulenzen und schmerzender Magen schaffen stets Unbehagen und machen einsam. Vielleicht hat das Liebstöckel doch zu recht seinen Namen verdient?

Das Maggigewürz Liebstöckel wird auch von den Nonnen geschätzt.

Quellen:
  1. Jambor, T., Arvay, J., Tvrda, E., Kovacik, A., Greifova, H., Lukac, N.; The effect of Apium graveolens L., Levisticum officinale and Calendula officinalis L. on cell viability, membrane integrity, steroidogenesis, and intercellular communication in mice Leydig cells in vitro. Physiol Res. 2021 Aug 31;70(4):615-625. doi: 10.33549/physiolres.934675. Epub 2021 Jun 1. PMID: 34062080; PMCID: PMC8820550. ↩︎
  2. Marzell, Heinrich; Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen, Reichel Verlag Der Leuchter, St. Goar 2002. ↩︎
  3. Goehl, Konrad: Das Circa Instans, Deutscher Wissenschafts-Verlag (DWV), Baden-Baden, 2015. ↩︎

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