Was Hildegard tatsächlich über den Dinkel sagte

Dinkel im Botanischen Garten zu Braunschweig

Dinkelkekse, Dinkelbrot, Dinkelnudeln, Dinkelbier sind in aller Munde. Dinkel gilt als die gesunde Alternative zum Weizen. Vor allem Menschen mit Verdauungsstörungen bevorzugen Backwaren aus dem Mehl des Dinkelkorns. Als Auslöser hinter diesen vermeintlichen Verdauungsstörungen wird oft das Klebeeiweiss Gluten vermutet. Tatsächlich ist im Dinkel wesentlich weniger Gluten als im Weizen enthalten. Wer bäckt, kann dies relativ leicht feststellen. Ein Teig aus Dinkelmehl kann dabei durchaus zur Herausforderung werden. 

Ein kleiner Unterschied?

Vergleichsweise gering sind die Unterschiede im Nährstoffgehalt zwischen Dinkel und Weizen. Im Dinkel stecken ein paar mehr Mineralien. Förderlich für die Darmgesundheit ist generell vor allem eine abwechslungsreiche Kost. Daher haben Dinkelgetreide und Produkte daraus durchaus ihre volle Berechtigung auf unseren Speisezetteln. Geschmacklich ist der Dinkel die herzhaftere und kräftigere Variante. Beim Dinkel handelt es sich um eine Urweizenart. Er ist widerstandsfähiger gegenüber Fressfeinden und Krankheiten und bedarf weniger Pflanzenschutzmittel. Daher eignet er sich besonders für den biologischen Anbau.

Die Getreidekörner des Dinkel zeichnen sich durch ihre längliche Form aus.

„Dinkel ist das beste Getreide

und er ist warm, fett, reichhaltig und wohlschmeckender als andere Getreidesorten; er verleiht dem, der ihn isst, rechtes Fleisch und rechtes Blut sowie einen frohen Sinn und Freude im Gemüt des Menschen.“

Physica

Alles nur Marketing?

Vorzüglich lassen sich Dinkel-Erzeugnisse unter dem Namen Hildegard von Bingens vermarkten. Man könnte meinen, als Äbtissin betrieb sie in Bingen eine Dinkelbäckerei oder eine Kochschule. In jedem kleinen Bio-Lädchen finden sich Hildegard-Kekse. Kochbücher in ihrem Namen gibt es zuhauf. Selbst namhafte Hersteller bedienen sich bei Dinkel-Produkten recht unverblümt ihres Namens. Was die Heilige Hildegard wirklich über den Dinkel dachte, sagte bzw. schrieb, ist vielen völlig unbekannt. Dabei ist das relativ leicht nachzulesen in den gelungenen Übersetzungen der ‚Phyisca‘ und ‚Causae et Curae‘ des Beuroner Kunstverlags. 

Wie hervorragend sich Hildegard von Bingen vermarkten lässt, hat bereits der österreichische Arzt Gottfried Herzka vorgelebt. Erfolg findet immer Nachahmer. Heute heissen diese Copy-Cats. Kritische Stimmen galten schon immer als schwierig. Vielleicht ist es mit dem Dinkel wie mit dem Spinat. Ein kleiner Fehler führt zu einer grossen Annahme, die wir alle gar nicht mehr ändern wollen.

Die Getreidekörner des Weizen sind im Gegensatz zum Dinkel rundlich.

„Der Weizen ist warm …

… und vollständig Frucht, so dass an ihm kein Abfall ist. Und wenn richtiges Mehl aus Weizen gemacht wird, dann ist das aus diesem Mehl hergestellte Brot für Gesunde und Kranke gut und es macht im Menschen richtiges Fleisch und richtiges Blut.“

Physica

Hildegard die Köchin?

Lediglich bei Appetitlosigkeit empfahl die Heilige vom Rhein den Dinkel. Allerdings rät sie zur Verwendung von Weizen bei Rücken- und Flankenschmerz. Auch im Falle von Verstandesverlust – so ihre Meinung – könnte der Weizen hilfreich sein. In mehr als sieben ihrer zahlreichen Rezepturen findet sich ausdrücklich Weizen als Zutat; Dinkel in keinem. Relativ wahrscheinlich handelt es sich beim von ihr erwähnten Semmelmehl als Ingredienz für sechs weitere Rezepte um Brösel aus Weizenbrot. Woher die zahlreichen Dinkel-Rezepte im Namen Hildegards entstammen, ist unklar. Aus ihren überlieferten Schriften jedenfalls stammen sie nicht!

Schöne Geschichten?

Recht amüsant liest sich ein Beitrag zu dieser Thematik, der von Johannes G. Mayer und Tobias Niedenthal verfasst wurde. Beides sind Experten auf dem Fachgebiet der ‚Klostermedizin‘. Anhand von Fakten überprüften sie allgemeine Aussagen zu Hildegard. Dass Hildegard Rezepturen mit Dinkel verfasste, halten sie für einen Mythos. 


Quellen:

Mayer, J., G.; Niedenthal, T.; Hildegard – ein Mythos?; https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/a-0594-3881; 01.12.2022

Hildegard von Bingen; Heilsame Schöpfung – Die natürliche Wirkkraft der Dinge ‚Physica‘; übersetzt von Ortrun Riha, Beuroner Kunstverlag; 2012

Hildegard von Bingen; Ursprung und Behandlung der Krankheiten ‚Causae et Curae‘; übersetzt von Ortrun Riha, Beuroner Kunstverlag; 2012

Ähnliche Beiträge

  • |

    Ölbaumblätter – mehr als ein Zeichen des Friedens

    Ölbaum (Olea europea) Kein anderer Baum oder Strauch verkörpert mehr mediterranes Ambiente als der Ölbaum. Fälschlicherweise wird er oft als Olive bezeichnet. Das ist korrekterweise die Bezeichnung seiner Früchte, aus denen das begehrte Öl gewonnen wird. Ölbäume müssen erst alt werden, bevor sie Früchte tragen. Hundertjährige Ölbäume sind keine Seltenheit. Generationen können von seiner Fruchtbarkeit…

  • |

    Lungenkraut – das Raublatt

    Lungenkraut (Pulmonaria officinalis) Das kleine gefleckte Kraut hat einen überaus guten Ruf, wenn auch die Wirkung als Heilpflanze für die Atmungsorgane wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Hildegard von Bingen empfahl die Einnahme von Lungenkraut-Wein bei Erkrankungen der Atemwege. Paracelsus verwendete es sogar als Asthma-Mittel. Die Verwendung in den Anwendungsgebieten der Atmungsorgane entstammt der Signaturenlehre. Die getüpfelten Blätter…

  • Einen Schlüssel zum Himmel?

    Wie die Primeln zu ihrem schönen Namen kamen. Wer kennt sie nicht die kleinen gelben Frühblüher, die im Sprachgebrauch Schlüsselblumen oder Himmelsschlüssel genannt werden? Gemeint sind die beiden wildlebenden Primel-Arten: die Gemeine Schlüsselblume (Primula veris) und die Hohe Schlüsselblume (Primula elatior). Auf den ersten Blick ähneln weder ihre Blüten, Blätter noch Gestalt einem Schlüssel. „Petrus…

  • |

    Beifuss – das magische Gewürz

    Beifuss (Artemisia vulgaris) Der Beifuss ist ein altbekanntes wohlschmeckendes Küchengewürz. Beliebt ist er bei der Zubereitung fettiger und deftiger Fleischspeisen z.B. wie Gänse- und Schweinebraten. Der Volksglauben schreibt dem Beifuss die Kraft zu, dunkle Mächte zu vertreiben und abzuhalten. Deshalb ist das Kraut beliebt zum Räuchern. Schwermut, Verzweiflung und Krankheitsgeister soll er austreiben können. Insekten…

  • Heilsame Schöpfung – Die natürliche Wirkkraft der Natur: Physica

    Band V der Werksausgabe Hildegard von Bingen Vorstellung der vollständigen und neuen Übersetzung von Ortrun Riha Es gibt Bücher, die lösen beim Erwerb Jubel aus. Die Ausgabe der Physica in der Ausgabe des Beuroner Kunstverlages gehört dazu. Ortrun Riha hat mit der Neuübersetzung ein Werk geschaffen, das sowohl Laien als auch mit der Materie Vertrauten…