Schmerzen – reine Nervensache?

Eule als Zeichen der Weisheit in einem Bleiglasfenster am Hamburger Dammtorwall.

‘The reign of pain is mostly in the brain.’ 

Das obige Zitat entstammt dem weltbekannten Muscial “My Fair Lady”. Den meisten wird allerdings das Wortspiels bezüglich der Farbe Grün in lebhafter Erinnerung geblieben sein. Die englische Originalfassung enthält den bemerkenswerten Satz aus unserer Überschrift. Allerdings bleibt dem zuzufügen: Schmerzen sind weit mehr als reine Kopfsache!

In den letzten beiden Beiträgen waren Schmerzen gewidmet, die durch mechanische und thermische Reize, chemische Prozesse an den Nozizeptoren (Nervenenden in der Haut und in den Organen) erzeugt werden, und durch Blockaden an der motorischen Endplatte (der Übertragungsstelle von Erregungen einer Nervenfaser auf die Muskelfaser) Krämpfe auslösen. Für beide Schmerzformen gibt es in der Pflanzenheilkunde eine Reihe von wirkungsvollen Inhaltsstoffen und Verbindungen. Jedoch nur einige der Heilpflanzen bzw. Wirkstoffe eignen sich auch für den Hausgebrauch. Andere hingegen sind nur in Form als bereits verarbeitete Präparate nutzbar. Beim Aspirin – dem Schmerzmittel Nummer Eins – zum Beispiel haben die Pharmazeuten sich die Natur als Vorbild genommen.


„Bilsenkraut ist kalt und weich und ohne Heilkräfte. Wenn es jemand essen würde, würde es in ihm seine todbringende Giftwirkung entfalten.“

HILDEGARD VON BINGEN; PHYSICA


Vom Altertum übers Mittelalter bis In die Volksheilkunde wurden zur Schmerzbekämpfung vor allem wohlbekannte „Rauschkräuter“ verwendet. In ihnen sind sogenannte Tropanalkaloide enthalten, die unter anderem auch Bewusstseinsänderungen hervorrufen können. Atropin der Tollkirsche (Atropa belladonna L.), Hyoscyamin des Bilsenkrautes (Hyoscyamus niger L.) , Scopolamin des Stechapfels (Datura stramonium L.), Cocain des in unseren Breiten nicht vorkommenden Kokastrauches. Rauschzustände mögen manchmal durchaus amüsant sein und neue Erfahrungen offenbaren. Allerdings ist das Ziel einer effektiven Schmerztherapie neben der Schmerzausschaltung, dass der vorhandene Schmerz als nicht mehr so quälend empfunden wird – ergo eine Erhöhung der Lebensqualität! Ob Rauschzustände zur Verbesserung der Lebensqualität und Lebensumstände beitragen, erscheint wirklich zweifelhaft.


„Alraune wirkt … ein bisschen von der Fähigkeit, die Körperglieder absterben zu machen, da sie hypnotische, dass heisst schlafbringende Wirkung hat.“

DAS CIRCA INSTANS


Als der effektivste Wirkstoff aus der Pflanzenwelt hat sich das Morphin etabliert. Morphin ist das Hauptalkaloid des Opiums. Es wird aus dem Milchsaft des Schlafmohns (Papaver somniferum) gewonnen. Im gesamten zentralen und peripheren Nervengewebe befinden sich Opioid-Rezeptoren. Eine höhere Dichte dieser Opoid-Rezeptoren findet sich im Thalamus.[1] In diesem Hirnareal werden die Art, Dauer und Intensität des Schmerzes in bewusste Wahrnehmungen verarbeitet. Eine der wichtigsten Aufgaben des Thalamus ist die Steuerung von Aufmerksamkeit und Wachheit. Daher werden Schmerzen im Wachzustand intensiver wahrgenommen als im Schlaf.[2]

Schwerpunkte der schmerzlindernden Aktivitäten des Morphins liegen jedoch im Zentralen Nervensystem und besonders in den Hirnarealen des Limbischen Systems.[3] Das Limbische System ist ein Teil des Gehirns, welcher das vegetative Nervensystem beeinflusst und emotionale Reaktionen wie Wut und Lust auslöst – das ist der emotionale Teil der Schmerzverarbeitung.

Vom Ort des Schmerzgeschehens leiten afferente Neuronen den Impuls durch das Rückenmark hinauf in Richtung Hirn. Über den Hirnstamm gelangt dann der Reiz in den Thalamus – einem Teil des Zwischenhirns. Die bewusste Verarbeitung des Schmerzes findet in der Grosshirnrinde, im sensorischen Cortex, statt. In diesem Bereich wird der Schmerz vom Bewusstsein lokalisiert – wo tut es weh? 

Das heisst, wenn es nicht gelingt, den Schmerz direkt vor Ort auszuschalten, wie es zum Beispiel mit der Salecylsäure bei Entzündungen gelingen kann, bleibt nur der Angriff auf das zentrale Nervensystem,

Mohnkapseln in einem Bauerngarten in den rumänischen Karpaten.

Die Heilgelehrten der Schule von Salerno wussten im 12. Jahrhundert folgendes zu berichten: „Im Sommer, vor allem Zeit der Reife, bringen die Bauern an den Köpfen des Weissen Mohns mit einem Messerchen Schnitte an, auch an den Blättern. Die Milch, die nun ausfliesst, klebt rund um das Mohnköpfchen an, wird dann mit dem Messerchen abgeschabt und mit den Händen weichgeknetet: das Opium, das so entsteht heisst Opium Thebaicum.“[5]


Keine Experimente!

Von Selbstversuchen mit Mohn ist abzuraten. Die Blüten sehen zwar schön aus, aber bei der Ausbeute ist mit zu grossen Schwankungen in Qualität und Konzentration zu rechnen. Auch im Anbetracht möglicher Nebenwirkungen gehören die Substanzen in ärztliche Obhut.

Für den Anbau von Wirtschaftsmohn ist es in Deutschland erforderlich, einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Anbau von Papaver somniferum (Schlafmohn) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle – zu stellen.

Kein Anreiz für die Tüte!

Neu und viel diskutiert im Bereich der Schmerztherapie sind die Cannabinoide. Die Hanfpflanze, (Cannabis sativa) hat als Heilpflanze berechtigterweise einen recht zweifelhaften Ruf. Wie jeder Kiffer berichten und bestätigen kann, ist die Bandbreite an Cannabis-Sorten und deren Wirkung sehr breit gefächert. Für die Gestaltung eines entspannten Abends mit amüsanten bis dummen Gedanken mag das als unerheblich erscheinen. Für den gezielten Einsatz einer pflanzlichen Droge spricht das nicht. Was man weiss, bewirken Cannabinoide präsynaptisch eine Hemmung der Transmitterfreisetzung, postsynaptisch eine Hyperpolarisation der Neuronen.[4] Somit findet keine Reizweiterleitung statt. Das klingt alle recht hoffnungsvoll, aber die Forschung steckt hier noch in den Kinderschuhen. Die unter Schmerzen Leidenden benötigen eine gezielte und passgenaue Therapie. Das kann der heutige Stand der Therapieoptionen mit Cannaboiden noch nicht verlässlich leisten. Die Forschungsergebnisse sind noch nicht ausreichend für die Beurteilung der Wirkung einzelner Inhaltsstoffe. 

Selbst für das bereits grossflächig vermarkteten CBD fehlen noch die fundierte Ergebnisse. Für eine effektive Bekämpfung von Schmerzen – einem enormen Leidensdruck – ist jedoch die genaue Kenntnis und Beherrschung des Wirkstoffes, der geeigneten Konzentration und Wirkweisen Voraussetzung

Verantwortung tragen!

In Anbetracht einer riesigen Pflanzenwelt mit ihrer immens grossen Vielzahl und Vielfältigkeit an Inhalts- und Wirkstoffen sind das erschütternd wenige Optionen, welche die Phytotherapie für die effektive Behandlung von Schmerzen zur Verfügung hat. Das zeigt, wie schmal der Grat zwischen Gift, Rauschmittel und Medikament ist. Hier ist Verantwortung gefragt!

Hemmungsloser und verantwortungsloser Umgang mit Opioden hat in den USA eine Krise ausgelöst. Sozialer, psychischer und wirtschaftlicher Ruin sind für die Betroffenen die Folgen. Die Werbung der Pharmaindustrie war erfolgreich, die Ärzte haben mitgemacht, – das ist Pech für die Betroffenen.


[1] https://mediatum.ub.tum.de/doc/1093473/1093473.pdf

[2] http://physiologie.cc/XIV.4.htm#Aff_periph

[3] Hänsler, Sticher; Pharmakognosie Phytopharmazie, 9. Auflage,  Springer Verlag München / Berlin, 2010

[4] https://www.meduniwien.ac.at/hp/fileadmin/zpp/downloads/schmerzanalgetika.pdf

[5] Konrad Goehl, Das Circa Instans, DWV, Baden-Baden 2015

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